Nie mehr allein by Nora Roberts

Autor:Nora Roberts [Roberts, Nora]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Contemporary
Herausgeber: Heyne Verlag
veröffentlicht: 2013-11-24T16:00:00+00:00

6. KAPITEL

In Quiet Valley war das bevorstehende Fest allgegenwärtig. Auf dem Dach des Kaufhauses war ein Lautsprecher montiert, der die Umwelt mit Weihnachtsliedern berieselte. Ein geschäftstüchtiger junger Mann von einer der umliegenden Farmen erschien mit seinem Zweispänner und kutschierte Passagiere durch das Städtchen und die Hauptstraße hinauf und hinunter. Die Kinder, der Schule entronnen, drückten sich die Nasen an den Auslagen der Geschäfte platt. Der Himmel war stark bewölkt, aber es hatte noch nicht zu schneien angefangen.

Jason saß im Café, eine heiße Tasse Tee vor sich. Hingebungsvoll lauschte er dem Stadtklatsch. Da hatte sich beispielsweise der Älteste der drei Hennesey-Jungs mit Windpocken angesteckt und die Ferien über im Haus bleiben müssen. Carlotta Miller verkaufte die Christbäume zum halben Preis, und im Kaufhaus gab es Fünfgangfahrräder im Sonderangebot.

Vor zehn Jahren hätte Jason über solche Gespräche die Nase gerümpft. Jetzt saß er zufrieden mitten unter den Einheimischen und hörte zu. Vielleicht war es das, was dem Roman, den er schon seit Jahren schreiben wollte, noch fehlte. Er hatte die ganze Welt gesehen, aber alles war immer so schnell gegangen, war so hektisch gewesen. Mehr als ein Mal stand nicht nur eine Reportage, sondern auch sein Leben auf dem Spiel, doch daran dachte man nicht, ehe nicht alles vorbei war. Jetzt aber hatte er Zeit, auf seine Erlebnisse zurückzublicken.

Er hatte fast alle Aufträge angenommen, manches Mal sogar gefährliche, weil ihm im Grunde alles gleichgültig war. Den Teil seiner selbst, der ihm am liebsten war, hatte er bereits verloren. Es stimmte, dass er im Laufe der Jahre wieder etwas aufgebaut hatte, mühsam und Stück für Stück, aber es war ihm nicht gelungen, das Ganze wiederzufinden. Das hatte er hier zurückgelassen, wo er aufgewachsen war. Nun musste er darüber nachdenken, wie es weitergehen sollte.

»Hier wird wohl jeder bedient.«

Jason schaute auf und grinste. »Paul. Paul Tydings.« Seine Hand verschwand fast völlig in der riesigen Pranke des Neuankömmlings.

»Verflixt, Jason, du bist noch genauso schlank und attraktiv wie früher.«

Jason betrachtete seinen ältesten Freund eingehend. Pauls dunkles Haar lockte sich wie früher um seinen mächtigen Kopf, und der Schnurrbart unterstrich die männliche Note. Sein massiver Körperbau hatte ihm im Footballteam den unbestrittenen Platz im Sturm verschafft. Im Laufe der Jahre hatte sich seine Figur allerdings zu etwas verdichtet, das höflich mit der Bezeichnung »gestanden« umschrieben wurde. »Und du«, sagte er schließlich schmunzelnd, »bist noch immer ein toller Bursche.«

Mit dröhnendem Lachen schlug ihm Paul auf die Schulter. »Ich habe nicht damit gerechnet, dich hier zu treffen.«

»Und ich dachte, du wärst in Boston.«

»Da war ich auch. Ich habe Geld verdient und eine Familie gegründet.«

»Du bist verheiratet?«

»Oh ja, und zwar schon seit sieben Jahren. Wir haben fünf Kinder.«

Jason verschluckte sich an seinem Tee. »Fünf?«

»Drei und dann ein Zwillingspärchen. Übrigens, als ich vor sechs Jahren mit meiner Frau zu Besuch hierher gefahren bin, hat sie sich auf den ersten Blick in die Gegend verliebt. Früher haben wir in Manchester ein Schmuckgeschäft gehabt und dann hier eins aufgemacht. Es läuft nicht schlecht. In gewisser Weise habe ich das alles dir zu verdanken.«

»Wieso mir?«

»Du hast mir immer neue Ideen in den Kopf gesetzt.

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